In unserem ersten Beitrag hast du erfahren, warum es schön und wichtig ist, achtsam zu sein. Aber wie funktioniert nun diese tolle Achtsamkeit? Dahinter steckt keine Zauberformel, sondern ein einfacher, eigentlich ganz natürlicher Vorgang.
Achtsam zu sein geht nämlich so: Sei mit deiner vollen Aufmerksamkeit ganz genau dort, wo du gerade bist, und bei dem, was du gerade tust. Der Alltag bietet unzählige Gelegenheiten, um Achtsamkeit zu üben. Wenn du zum Beispiel in der Natur unterwegs bist, halte deine Augen, deine Ohren und deine Nase offen für alle Pflanzen, Tiere und anderen kleinen Wunder der Natur, die es dort gibt. Wenn du etwas isst oder trinkst, konzentriere dich auf den Geschmack und genieße ihn. Wenn du ein Haustier streichelst, achte nur auf das warme, weiche Gefühl unter deiner Hand und in deinem Herzen sowie darauf, dass es auch dem Tier guttut, wie du es berührst. Wenn du ein Musikinstrument spielst, konzentriere dich auf deine Bewegungen und den Klang des Instruments. Wenn ein Freund dir etwas erzählt, höre ihm mit deiner ganzen Aufmerksamkeit zu und achte auch auf seine Stimme und seinen Gesichtsausdruck, denn diese verraten dir noch viel mehr als die Worte allein.
Achtsamkeit heißt im Grunde also nicht mehr und nicht weniger als ganz bei der Sache zu sein und sich nicht ablenken zu lassen. Theoretisch ist Achtsamkeit daher ganz leicht. Praktisch jedoch ist genau dieses Sich-nicht-ablenken-lassen die große Schwierigkeit. In unserem ersten Beitrag haben wir dir ja schon erklärt, dass Achtsamkeit den allermeisten Menschen schwerfällt, weil sie ständig durch die Reizüberflutung unserer Welt und durch ihre eigenen Gedanken abgelenkt sind. Das kennst du sicher selbst, wie wir und jeder andere auch. Obwohl Achtsamkeit so einfach und natürlich ist, muss man sie deswegen fast schon als Kunst bezeichnen – die Kunst, die Umgebungsreize und die eigenen Gedanken auszublenden und sich nur auf das zu konzentrieren, worauf man sich in dem Moment konzentrieren möchte.
Wenn man an unsere Welt voller Auto- und Flugzeuglärm, Hektik und Sorgen denkt, erscheint es ziemlich unwahrscheinlich, dass Achtsamkeit wirklich möglich ist. Aber das ist sie – sie ist nur eine Frage der Übung. Du kannst lernen, deine Sinne gezielt einzusetzen und deine Aufmerksamkeit bewusst zu lenken, sodass du das Schöne und Wichtige statt des Nervigen und Unwichtigen wahrnimmst. Aber wie kannst du es lernen? Ganz einfach, indem du es tust. Nutze die vielen Gelegenheiten, die dir der Alltag und unser Blog bieten, um deine Achtsamkeit zu trainieren. Nimm dir einen Moment Zeit, es reichen oft ein paar Minuten, und konzentriere dich voll und ganz auf etwas Bestimmtes, das du gerade siehst, hörst, riechst, schmeckst oder fühlst.
Und so geht es: Vertiefe dich in deine Sinneswahrnehmung und achte auf nichts anderes. Wenn da Lärm oder etwas anderes ist, das dich ablenken könnte, ärgere dich nicht darüber, sondern lenke deine Aufmerksamkeit gezielt auf das, was du gerade wahrnehmen möchtest. Genauso machst du es mit Gedanken, die dich ablenken wollen – beachte sie nicht, sondern konzentriere dich auf deine achtsame Beobachtung. Du darfst nicht versuchen, Gedanken oder andere lästige Ablenkungen wegzuschieben, denn das funktioniert nicht und lenkt dich sogar noch mehr ab, da du diesen Dingen dadurch Beachtung schenkst. Stattdessen achte ganz bewusst auf die schöne Wahrnehmung, auf die du dich konzentrieren möchtest.
Ein Beispiel: Du siehst einen Schmetterling am Wegrand herumflattern und möchtest ihn genau beobachten, aber gleichzeitig gehen immer wieder Leute an dir vorbei und du hast auch noch sorgenvolle Gedanken an die Klassenarbeit. Beachte nicht die Leute und vertiefe dich nicht in deine Sorgen, sondern schau einfach ganz genau den schönen Schmetterling an. Erkunde ihn mit den Augen und entdecke jedes Detail. Indem du dich auf den Schmetterling konzentrierst, bemerkst du die Leute nicht mehr so sehr und deine sorgenvollen Gedanken verschwinden, weil du an etwas anderes (den Schmetterling) denkst.
Am Anfang ist es noch nicht so leicht, dich wirklich auf die achtsame Wahrnehmung zu konzentrieren, aber lass dich davon nicht entmutigen. Wichtig ist, dass du entspannt dabei bist und dir keinen Druck machst, denn erstens wird sonst die positive Wirkung der Achtsamkeit nicht erreicht und zweitens soll dir das alles ja Spaß bringen. Bald wirst du bemerken, dass es dir immer leichter fällt, deine Sinne gezielt einzusetzen. Je mehr du übst, desto normaler wird es für dich, achtsam zu sein, sodass du mit der Zeit sogar ganz selbstverständlich mit offenen Sinnen durchs Leben gehst und die schönen und wichtigen Dinge von selbst bemerkst.
Es geht aber gar nicht darum, dieses Ziel zu erreichen, sondern vielmehr darum, an jeder Übung und jedem kleinen achtsamen Erlebnis Freude zu haben und positive Energie daraus zu gewinnen. Jedes Mal, wo du achtsam bist oder es zumindest übst, ist eine tolle Erfahrung. Die vielen kleinen Übungen, die wir dir in unserem Blog zeigen, sollen dir Gelegenheiten zu solchen tollen Erfahrungen bieten.
Heute wollen wir mit einer ganz einfachen Übung anfangen, bei der du alle deine sechs Sinne kennenlernst. Du wirst dabei merken, wie viel mehr du wahrnimmst, wenn du achtsam bist, und wie viel Wunderbares in etwas steckt, das ganz alltäglich ist und selbstverständlich erscheint.
Übung: Der Apfel – Ein kleines Wunder für alle Sinne
Foto: Katina Witte
Bestimmt isst du gern und oft Äpfel. Äpfel sind lecker und gesund, aber sie sind nicht nur das, sondern auch ein kleines Wunder der Natur. Hast du schon mal ganz genau darauf geachtet, wie die Äpfel aussehen, riechen, schmecken, sich anhören und anfühlen? So genau wie mit dieser Achtsamkeits-Übung hast du einen Apfel sicher noch nie erlebt.
Suche dir für diese Übung am besten einen Apfel mit einer rot-gelben Schale aus, denn dann wird es besonders spannend. (Falls du keine Äpfel essen magst oder eine Allergie gegen Äpfel hast, kannst du auch ein anderes Obst oder ein Gemüse nehmen, das eine interessante Schale hat.)
Schau dir nun als erstes deinen Apfel in aller Ruhe an. Betrachte ihn ganz genau von allen Seiten. Erkunde mit deinen Augen die Farben und Musterung der Schale des Apfels und auch seine Form. Jeder Apfel sieht einzigartig aus, wenn du genau hinsiehst. Schau dir alle Einzelheiten, die du an deinem Apfel erkennen kannst, in Ruhe und mit Bewunderung an.
Als nächstes nimm deinen Apfel in beide Hände und schließe die Augen. Fühle ganz in Ruhe mit deinen Händen über die Schale des Apfels, erkunde mit deinen Fingern und Handflächen die Struktur der Oberfläche und die Form des Apfels. Drücke dabei nicht auf den Apfel, sondern fahre nur leicht mit deinen Händen darüber, denn nur dann kannst du die ganze Schönheit des Apfels erfühlen.
Jetzt halte dir deinen Apfel ganz dicht vor deine Nase. Behalte dabei die Augen geschlossen. Rieche intensiv an deinem Apfel und dreh ihn dabei auch mal hin und her, denn vielleicht entfaltet er von verschiedenen Seiten unterschiedliche Aromen. Auf jeden Fall duftet er bestimmt herrlich, oder? Wie würdest du den Duft des Apfels genau beschreiben?
Anschließend ist nun der Moment gekommen, wo du endlich in deinen schönen Apfel beißen darfst. Tu dies jedoch nicht hastig, auch wenn du großen Appetit hast, sondern langsam und aufmerksam. Spüre, wie es sich anfühlt, ein Stück von dem Apfel abzubeißen und dieses ganz langsam zu zerkauen. Achte beim Kauen aber nicht nur auf das Gefühl, sondern ganz besonders auch auf den Geschmack, der sich in deinem Mund entfaltet. Schließ dabei auch mal wieder die Augen, um dich besser darauf konzentrieren zu können, wie der Apfel schmeckt. Lecker ist er sicher, aber wie schmeckt er genau? Ist er süß oder eher säuerlich? Welche Einzelheiten kannst du sonst noch herausschmecken?
Wenn du den ersten Bissen von deinem Apfel achtsam aufgegessen hast, achte beim zweiten Abbeißen nun auf das Geräusch, das entsteht, während du abbeißt. Wie würdest du es beschreiben? Klingt es zum Beispiel knackig oder saftig? Nach dem Abbeißen iss das Stück des Apfels wieder achtsam, wie im vorigen Schritt beschrieben.
Iss nun deinen Apfel weiter, Bissen für Bissen, und sei dabei genauso achtsam wie zuvor. Achte auf den Geruch, das Gefühl, das Geräusch beim Abbeißen und ganz besonders auf den Geschmack. Schau dir deinen Apfel während des Essens aber auch immer wieder genau an und bemerke, wie er sich verändert, bis schließlich nur noch das Gehäuse übrig bleibt.
Während du isst, entsteht in dir aber bestimmt auch ein gutes Gefühl, oder? Achte darauf und versuche, es dir selbst zu beschreiben. Fühlst du dich zum Beispiel erfüllt, glücklich oder dankbar? Genieße den Apfel und genieße auch das schöne Gefühl, das du durch ihn bekommst.
So, das war schon die erste Achtsamkeits-Übung. Das war doch gar nicht schwer, oder? So achtsam kannst du immer essen, oder jedenfalls manchmal, wenn du dir die Zeit dafür nimmst. Durch Achtsamkeit wird etwas so Alltägliches wie Essen zu einem großartigen Erlebnis und du erkennst, wie wertvoll so eine kleine Gabe der Natur doch ist.
Übrigens: Wenn du den Apfel aufgegessen hast, kannst du der Natur etwas zurückgeben. An dem Strunk erfreuen sich draußen noch Insekten und Vögel, und wenn du die Kerne einpflanzt, kannst du selbst kleine Apfelbäumchen wachsen lassen.